Retro: 360 Live Anekdoten – Drama um Halo

Retro: 360 Live Anekdoten – Drama um Halo

In all den Jahren bei 360 Live gab´s natürlich auch einige redaktionelle und moralische Tiefschläge. Nicht mal ein Jahr nach Start des Magazins musste der Verleger Rolf Mai wegen anderweitiger Verpflichtungen das Handtuch werfen. Mir kam nun im Sommer 2006 die wenig beneidenswerte Aufgabe zu, binnen weniger Tage eine Lösung zu finden. Sollte ich selbst den Job übernehmen, mit all den Verpflichtungen die damit einhergehen – die sündhafte teure Druck-Finanzierung eingeschlossen? Eher nicht. Danke daher, Florian Petrich, dass du so spontan den Job als Verleger übernommen habt. Hat dem Magazin gut getan: Du hast uns freie Hand gelassen, und außerdem viel Kraft und Neugier und ein beneidenswertes kaufmännisches Können eingebracht. Wir konnten in den Folgemonaten die Erscheinungsfrequenz von 360 Live erhöhen und mit PS3M sowie GamesTM zwei wundervolle Geschwistermagazine aus der Taufe heben. 

Halo 3 in einem Test, den Microsoft
nicht wollte. So nahm das Drama
seinen Lauf.


Werde auch nie den Spätsommer 2007 und das Drama um Halo 3 vergessen. Microsoft hatte uns für Mitte September die Zusendung eines Testmusters von Halo 3 zugesagt. Ich muss niemand erklären, welche Bedeutung dieser Ego-Shooter für ein Xbox-Fachmagazin hat. Jedenfalls, der Kalender zeigte auf kurz vor Redaktionsschluss der Oktober-Ausgabe. Das Cover war bereits druckfertig aufbereitet, der allergrößte Teil des Heftinhalts ebenfalls. Nur eine paar blanke Seiten für den vielleicht wichtigsten Test des Jahres blieben noch zu erledigen: eben Halo 3Dann die Katastrophe. Microsoft ruderte zurück. Ich bekam eine knappe Mitteilung, dass man kurzfristig mit einem Konkurrenzverlag einen Exklusivtest vereinbart habe und uns das Spiel deshalb nicht wie vereinbart zukommen ließe. Ich machte meinem Gesprächspartner klar, in welche Probleme uns diese Umentscheidung bringt und dass ich auf jeden Fall nach Alternativ-Lösungen suchen werde. 

Der Dialog endete ergebnislos und lies mich ratlos zurück. Das Heft war quasi im Druck, Microsoft ließ uns hängen, der Release von Halo 3 nur noch wenige Tage entfernt – was tun? Kannte zum Glück jemand im Ausland, der bereits eine völlig legale Handelsfassung vorliegen hatte und diese für uns testen wollte. Wir konnten also ohne Microsofts Unterstützung – doch vermutlich ohne deren Billigung – unsere geplante 6-Seiten-Coverstory vollenden und unsere Leser rechtzeitig zum Erscheinen von Halo 3 mit Deutschlands erstem Test versorgen. Ob die Entscheidung gegenüber Microsofts PR-Kollegen menschlich richtig war, darüber lässt sich sicherlich streiten. Ich für meinen Teil hatte das Gefühl, dass wir einen legalen und journalistisch einwandfreien Weg gegangen waren; und dass wir das getan hatten, was wir unseren Lesern schuldig waren. Gleichzeitig keimte da diese düstere Ahnung in mir, dass Microsoft den Test nicht gutheißen würde, trotz hervorragender Wertung und so. Daher rechnete ich mit einer Reaktion und reservierte schonmal Zeit für Erklärungen. Aber es anders. Nämlich richtig dicke.  

Kurz nach Erscheinen der Oktober-Ausgabe mit dem Test von Halo 3 schlug eine Nachricht von Microsofts PR-Abteilung in meinem Email-Postfach ein. Darin stand, man fühle sich hintergangen und kappe die Zusammenarbeit mit der Redaktion. Keine Erklärungen, keine Diskussion. Wir sollen einfach nur binnen weniger Tage alle Leihgeräte zurückschicken, alle Controller, sogar das Forza-Lenkrad. Und vor allem die kriegsentscheidenden, weil nicht frei verkäuflichen Debug-Konsolen. Für die gab es keinen Ersatz. Wir brauchten sie für die Arbeit mit Software im Alpha- und Beta-Stadium unbedingt, denn auf Standard-Konsolen aus dem Handel lassen sich diese – von Spielherstellern vorab zur Verfügung gestellten Games – nicht starten. Nochmal, zum Auf-der-Zunge-zergehen-lassen: Der Hersteller der Xbox 360 wollte mit der Redaktion von Deutschlands populärsten Xbox-Fachmagazin nicht mehr zusammen arbeiten. In mir keimte Panik, dass Microsoft 360 Live damit den Stecker zieht. 

Aber wir hatten jede Menge weitsichtige Unterstützer. Durch redaktionelle Kooperation mit dem englischen Imagine-Verlag verbesserten sich im Windschatten der Affäre um Halo 3 sogar unsere Zugriffsmöglichkeiten auf Microsoft-Themen, einfach weil die Briten einen direkteren Draht zu englischen und amerikanischen Informations-Quellen hatten als wir Kontinental-Europäer. Außerdem stellten uns andere Spielhersteller und befreundete Medien-Redaktionen ihre Konsolen zur Verfügung. Dafür bin ich den Betreffenden bis heute sehr, sehr dankbar. Ihr wisst dass ihr gemeint seid. 

Erst nach ungefähr einen Jahr begannen sich die Wogen zu glätten. Microsoft versorgte uns wieder mit Debug-Konsolen und Microsoft-Spielen. Alles war gut. 

P.S.: Noch etwas Werbung in eigener Sache, man möge mir verzeihen: Lust auf kreatives Gameplay, das genauso große Gefühle auslöst wie 360 Live? Dann lade Dir Anno Domini auf dein iPhone oder iPad. Code by me, Gamedesign by Frank Furtwängler, Publishing bei Ravensburger Digital. 

2013-12-23T10:00:00+01:00

Über mich

Spieleschreiber, das sind im Wesentlichen ich – Richard Löwenstein – und freie Kollegen, mit denen ich auftragsbezogen zusammenarbeite. Ich bewege mich seit 1984 in der Software-, Games- und Medienindustrie. Das Wort Spieleschreiber (“gamesauthor”) bezieht sich auf  die Tatsache, dass ich über Computerspiele schreibe und sie außerdem entwickle und produziere

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