Medien: 360 Live. Du bist tot. Schön war die Zeit.

Medien: 360 Live. Du bist tot. Schön war die Zeit.


Die Erstausgabe. Hieß damals noch 360.
Der Zusatz “Live” kam Ende 2006, um die
aufwendige Community-Integration zu betonen.


Immerhin acht Geburtstage konnte 360 Live feiern: Ziemlich respektabel für eine Fachzeitschrift, die sich mit ihrem Namen und Inhalten auf ein einziges Konsolen-System einlässt. Jetzt ist es scheinbar genug. Heute erscheint die letzte Ausgabe von 360 Live: dem weltbesten Fachmagazin für Xbox 360. Ich durfte durch Gründung und Aufbau einen Teil zum Werdegang des Hefts beitragen. Macht mich das Ende also traurig? Eher melancholisch. 

Bin seit Dezember 2010 raus aus 360 Live. Ausgestiegen um mir mit einer Weltreise einen Lebenstraum zu erfüllen. Mein Herz hängt trotzdem immer noch an diesem Magazin, seinen Lesern und der Redaktion. Viele wundervolle Erinnerungen sind mit all den Jahren verbunden. Am schönsten waren die Gründermonate von Mitte 2005 bis Mitte 2006. Hat Spaß gemacht, mit Cathy Blackman vom Highbury Verlag gemeinsam einen redaktionellen Deal zu vereinbaren. Durch die Zusammenarbeit mit dem englischen Verlagshaus konnten wir die besten Elemente des anglophilen Journalismus mit deutschen Inhalten verkuppeln – Jahre bevor andere hiesige Medien den lebendigen, bildlichen Schreibstil des sogenannten New Games Journalism nach Deutschland transplantieren wollten. Spannend auch die Wochen, als ich gemeinsam mit dem Verleger Rolf Mai über die Games Convention und durch die Industrie tingeln und die Finanzierung des Vorhabens organisieren durfte. Was für erfüllende Momente, als mir meine wundervolle Grafikerin Tanja Gabler erste gebastelte Seiten zeigte und wir gemeinsam die Früchte ihrer Arbeit bestaunten. Herrlich.

Werde nie vergessen, wie ich gemeinsam mit Sebastian Weidenbeck binnen drei Wochen den Großteil der Erstausgabe texten durfte. Hab´s dem armen Sebi bestimmt nicht immer leicht gemacht, sicher nicht. Aber er hat meinen Launen und meinem Hang zum Perfektionismus standgehalten. Am Ende hat sich die Arbeit gelohnt. Ich denke ihm ging genauso das Herz auf wie mir, als uns der Karton mit den ersten Exemplaren von 360 Live aus der Druckerei erreichte. King Kong auf dem Cover, damals einer der Vorzeigetitel für die neue Xbox 360. Mein Gott, sah das Cover erhaben aus. Ich bedauere all die Online-Medien- und Digital-Download-Sklaven, weil sie nie das erhabene Gefühl erleben werden, wie sie ihre geleistete Arbeit in die Hand nehmen und an den Fingerspitzen spüren. 

Ende November 2005, am Tag der ersten Ausgabe, klingelte das Telefon. Kennt jemand die Szenen aus Donald-Duck-Comics, wenn die Telefonschnur von Donalds Festnetz-Apparat die Kontur eines wutentbrannten Onkel Dagobert annimmt? So ähnlich fühlte sich dieser Moment an. Der Redaktionsleiter eines Verlagshauses aus dem Fränkischen brüllte mich an. Er drohte mit Klage, weil seiner Meinung nach die vielen Tests in dieser Erstausgabe von 360 Live nur gefälscht sein konnten. Ich legte auf. Denn eines wusste ich jetzt ganz sicher: Die Konkurrenz hatte für ihr Fachzeitschriften-Projekt nicht rechtzeitig eine Xbox 360 und die Spiele dafür testen können. Wir schon. Was für ein geiles Debüt!

Für mich eine der besten Ausgaben
von 360 Live. Warum?
Riddick auf dem Cover, darum!

In den kommenden Monaten wuchs der redaktionelle Kern rund um Manfred, Sebi, Nick, Matthias, Seckin und Ann-Kristin heran. Sabine, Moritz, Michael, Jan, natürlich Sönke und weitere tolle Mitarbeiter formten mit ihrem Wissen und ihrer Schreibe, ihrem Können und ihrer Art ein wundervolles Vorzeige-Team. Ich freue mich, dass ich diese Leute um mich haben und dem einen oder anderen vielleicht sogar etwas mit auf seinen Lebensweg geben durfte. Das Magazin lief lange Jahre blendend, trotz allgemeiner Verlagskrise und so. Wir hatten freie Hand und konnten viele Visionen umsetzen. Ein wichtiges Vorhaben war, die Community durch Webseite, Lesertests, Redaktionsbesuche und andere Ideen an der Produktion des Magazins zu beteiligen. So entstand ein Wir-Gefühl, eine so intensive Beziehung zwischen Redaktion und Lesern wie bei kaum einem anderen Medium. Um das auf dem Cover deutlich zu machen, änderten wir ab Ende 2006 sogar unseren Titel. Aus “360” wurde “360 Live”.

Könnte noch viele Dutzend Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel wie viel Spaß wir bei der Suche nach dem optimalen Heftpreis hatten und wie wir schließlich auf 3,60 Euro kamen. Weshalb die Augustiner-Brauerei an der Redaktion geschätzte 3.600 Euro verdient hat. Ein paar Anekdoten reiche ich am 20. Dezember, am 23. Dezember und am 27. Dezember in diesem Blog nach. Aber was sonst so passiert ist und was andere Beteiligte denken: Das fasst meine Kollegin Sabine Schischka in einem wundervollen Beitrag zusammen, der in der letzten Ausgabe von 360 Live nachzulesen steht. 

Was mich betrifft, ich wiederhole zum Abschied einen Satz aus meinem letzten Editorial für 360 Live. Erschien im Dezember 2010 und gilt bis heute: Hat Spaß gemacht, die Arbeit am besten Magazin der Welt. 

P.S.: Noch etwas Werbung in eigener Sache, man möge mir verzeihen: Lust auf kreatives Gameplay, das genauso große Gefühle auslöst wie 360 Live? Dann lade Dir Anno Domini auf dein iPhone oder iPad. Code by me, Gamedesign by Frank Furtwängler, Publishing bei Ravensburger Digital. 

2013-12-18T10:00:00+01:00

Über mich

Spieleschreiber, das sind im Wesentlichen ich – Richard Löwenstein – und freie Kollegen, mit denen ich auftragsbezogen zusammenarbeite. Ich bewege mich seit 1984 in der Software-, Games- und Medienindustrie. Das Wort Spieleschreiber (“gamesauthor”) bezieht sich auf  die Tatsache, dass ich über Computerspiele schreibe und sie außerdem entwickle und produziere

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