Geralt schlägt Japan: The Witcher 3 vs. FF-X für PS4

Geralt schlägt Japan: The Witcher 3 vs. FF-X für PS4

 

 

Hatte in den letzten Tagen das Vergnügen, meine PS4 mit gleich zwei Rollenspiel-Schwergewichten füttern zu dürfen: The Witcher 3 und Final Fantasy X/X-2 Remaster. Die Vorfreude auf die PS4-Adaption von Final Fantasy X war groß, weil ich mit dem Japano-Rollenspiel seit dem 2002 veröffentlichten PS2-Original ganz wundervolle Erinnerungen verbinde. Der Hexer wiederum war mir ein besonderes Vergnügen, weil ich mich von der polnischen Produktion bisher ferngehalten habe. Warum? Eine Marotte halt. Es gibt so Games, da möchte kein Opfer des Hype werden und vermeiden, dass das Spiel meiner übersteigerten Erwartungshaltung womöglich nicht standhalten kann. Da schaue ich dann keine Videotrailer, lese keine Previews und schlage Haken um Screenshots wann immer es geht. Lieber lasse ich mich vom Endergebnis überraschen.

 

Die offene Welt von Witcher 3: Bei Sonnenschein genauso eine Augenweide wie bei Vollmond

Die offene Welt von Witcher 3: Bei Sonnenschein genauso eine Augenweide wie bei Vollmond

Ist mir bei The Witcher 3 gut gelungen. Ich umging (fast) jede Berichterstattung. Das Ergebnis überrascht mich in der Tat. Ein Ausnahmegame. Schaltet manchmal sogar die Schwerkraft aus – mir fiel in den ersten Stunden mehrmals die Kinnlade runter. Soweit es mich betrifft: Hier ist das erste Game, für dass ich die Anschaffung einer PS4 (oder Xbox One) ohne Wenn und Aber empfehlen kann. Diese wundervollen Bilder, diesen Spielfluss und diese Komplexität der Ereignisse kann nur gehobene Hardware vom Kaliber PS4 aufwärts derart formvollendet zur Schau stellen. Das geht auf einer PS3 einfach nicht mehr. Großes Kino der polnischen Entwickler. Kompliment insbesondere an die Schöpfer der Figuren, der Geschichte und der Texte. Ich fühle mich als erwachsener und belesener Mensch ernstgenommen. Vielen Dank dafür. Denn dieses Gefühl erlebe ich in Abenteuer- oder Rollenspielen viel zu selten.

 

The Witcher 3 macht in fast jeder Hinsicht eine nahezu perfekte Figur. Aber er ist die Qualität der Erzählung, die den Hexer über alles andere erhebt. Wenn er – also die Heldenfigur Geralt – in Dialog mit Gegnern und Verbündeten tritt, dann macht jeder einzelne Satz Sinn. Er ist entweder wunderschön formuliert oder gewährt tiefe Einblicke in das äußerst facettenreiche, sogar in schwierigen Themen – Moral! Liebe! – herrlich nachvollziehbare Gefühlsleben der am Dialog Beteiligten. Hier ist endlich mal ein Actionrollenspiel mit ernstzunehmenden Texten und markanten Figuren und vor allem: einer großartigen Eindeutschung, die von vorne bis hinten funktioniert. Diese großartige, weil mit großem Vokabular und sensiblem Gespür produzierte Übersetzung: Ihr habe ich es zu verdanken, das ich eins werde mit Geralts Welt.

 

Wie macht sich die PS4-Adaption von Final Fantasy im Vergleich? Na jedenfalls, Kudos an Square Enix für den waghalsigen Move, das Spiel zeitgleich mit The Witcher 3 in den Ring zu werfen. Ob die Rechnung aufgeht, das wage ich zu bezweifeln.  Ein Blick auf die Screenshots sagt alles. Bilder sagen in diesem Fall mehr als Worte. Was auf den Bildern zu sehen ist, das lässt sich auf fast alle weiteren Gameplay-Attribute übertragen: Bedienung. Erzählung. Eindeutschung – in jeder Hinsicht wirkt das PS4-Remaster von Final Fantasy X schlampig und lustlos gemacht und völlig veraltet. Ich habe einen kleinen Vers darüber für T-Online Spiele geschrieben. Im Folgenden ein Auszug daraus – der komplette Text auf T-Online Spiele. Mehr über The Witcher 3 schon jetzt aus der Feder meines werten Kollegen Olaf Bleich hier.

Lebendige Augen, glaubwürdige Mimik: Überzeugende Figurendarstellung in Witcher 3

Lebendige Augen, glaubwürdige Mimik: Überzeugende Figurendarstellung in Witcher 3

Final Fantasy X/X-2 Remaster – auf der PS4 eine visuelle Enttäuschung. Die Figuren links und mitte sehen aus wie im Originalspiel von 2002, die Heldenfigur rechts wurde nur dezent überarbeitet

Final Fantasy X/X-2 Remaster – auf der PS4 eine visuelle Enttäuschung. Die Figuren links und mitte sehen aus wie im Originalspiel von 2002, die Heldenfigur rechts wurde nur dezent überarbeitet

 

Erinnerungen können trügerisch sein. Als das Japano-Rollenspiel „Final Fantasy X“ Mitte Mai 2002 im deutschsprachigen Raum erschien, wurde ihm seiner herrlichen Bilder und der betörenden Erzählung wegen gehuldigt. So mancher mag das neue PS4-Remake des Originals und des Nachfolge-Abenteuers „X-2“ daher mit verklärten Augen betrachten und ihm viele Schwächen nachsehen. Objektiv betrachtet wurde aber nur die Grafik skaliert und sonst nichts Wesentliches überarbeitet. Der visuelle Knaller von einst präsentiert sich sichtbar gealtert.

Mit seinen herrlichen Panoramen und der melodramatisch inszenierten Liebesgeschichte hat sich „Final Fantasy X“ Mitte 2002 vielen Anhängern japanischer Rollenspiele ins Gedächtnis gebrannt. Ein vergleichbar schönes Abenteuer gab es vorher und auch lange danach nicht zu sehen. Hersteller Squaresoft nutzte die DVD- und Grafiktechnik der damals aktuellen PlayStation 2 vortrefflich.  Final Fantasy X beschreibt das Schicksal des Helden Tidus und seiner Geliebten Yuna in bewegenden Bildern und mitreißenden Szenen. Das Nachfolgespiel X-2 knüpft daran an. Im „HD Remaster“ für PS4 sind beide Spiele enthalten. Außerdem mit dabei: Der Animationsfilm „Eternal Calm“. Er berichtet von den Ereignissen zwischen beiden Abenteuern.

 

Die geradlinig inszenierte Wanderschaft setzt sich im wesentlichen aus drei Elementen zusammen: Dialoge, Kämpfe und eine Handvoll Puzzles. Im Verlauf seiner Reise trifft Tidus viele unterschiedliche Figuren – viele davon mit wenig Stoff, skurrilen Beinkleidern oder irren Frisuren geschmückt. Herrlich schräg und einzigartig japanisch also. Im Rahmen herzlich getexteter, allerdings anchronistisch animierter und nur englischsprachig synchronisierter Dialoge wird der Betrachter Zeuge des Erwachsenwerdens von Tidus.

 

 

So hätte die PS4-Version von Final Fantasy X aussehen können. Tut sie aber leider nur in den Videos.

So hätte die PS4-Version von Final Fantasy X aussehen können. Tut sie aber leider nur in den Videos.

Auffällig sind die fließenden Wechsel zwischen Kämpfen, Filmszenen und Wanderungen über die Oberwelt. Damals und heute auf der PS4 bilden geschickt kaschierte Ladepausen die Basis für einen sehr angenehmen Spielfluss. Dass die störenden, weil großflächigen schwarzen Bildbalken der PS2-Version verschwunden sind, nimmt man gerne zur Kenntnis. Weniger schön allerdings, dass Grafik und Gameplay ansonsten sehr halbherzig überarbeitet wurden. Die PS4 hätte zweifellos genug Power, um die Qualität von Echtzeitgrafik und vorgerenderten Videoszenen anzugleichen. Diese Chance hat der Hersteller leider vertan.

 

 

Die Heldenfiguren haben also für das PS4-Remake etwas Make-up aufgelegt. Dennoch treten sie nicht annähernd in Konkurrenz zu eigens für das System entwickelten Charakteren, sondern zeigen ihr Alter deutlich: Tidus´ Haar setzt sich sichtbar aus Polygonen zusammen; Oberbekleidung fällt in Ecken und Kanten von den Schultern; Schmuck wirkt wie auf die Haut tätowiert statt plastisch ausgeformt. Dass einige Heldenfiguren aufgehübscht sind und aber eliche Statisten genauso grob modelliert sind wie im Originalspiel, ergibt ein wenig homogenes und etappenweise geradezu groteskes Bild.

 

 

Was wir mögen

Wie kaum ein anderes Game, verstehen sich Final Fantasy X und auch X-2 auf große Gefühle und grandios inszenierten Herzschmerz: Das Knisten zwischen der Predigerin Yuna und dem Helden Tidus beispielsweise gipfelt in einem Zeremoniell namens „Ritual der Besegnung“: eine minutenlange Szene, die mit wunderschönen Bildern und tieftraurigen Molltönen eine herrlich melancholische Stimmung im Betrachter auslöst. Die Musik wurde neu arrangiert und klingt qualitativ besser. Der Originalsound steht ebenfalls zur Wahl.

Was wir nicht mögen

Square Enix lässt das Gameplay leider fast unangetastet, auch da wo Modernisierung dringend angebracht wäre. Nach wie vor ist der Besuch von Speicherstationen mangels Speicherautomatik Pflicht. Es fehlt jede Lippensynchronität in Dialogszenen. Manche Schatztruhen in den Kulissen sind als untersuchenswert gekennzeichnet, andere nicht. Manchmal fordern Bildsymbole zum Antippen von Aktionstasten auf, doch wer der Aufforderung folgt erntet keine Reaktion. Das wirkt inhomogen und schlampig getestet.

Fazit

Das Final Fantasy X/X-2 HD Remaster enthält die PS4-Version zweier klassischer Vorzeige-Rollenspiele, die noch heute ganz großes Erzählkino bieten. Zweifellos erhält man viel Erlebnis fürs Geld. Als Obolus erwartet Square Enix für die Disk- und Downloadversionen allerdings 50 Euro, also fast Vollpreistarif. In Anbetracht dieser Tatsache wären deutlich umfassendere Modernisierungs-Maßnahmen angebracht gewesen. Wer mit dem Originalspiel keine nostalgischen Erinnerungen verbindet und moderne Software erwartet, wird enttäuscht sein.

 

Befriedigend

 

 

2015-06-16T11:16:45+02:00

Über mich

Spieleschreiber, das sind im Wesentlichen ich – Richard Löwenstein – und freie Kollegen, mit denen ich auftragsbezogen zusammenarbeite. Ich bewege mich seit 1984 in der Software-, Games- und Medienindustrie. Das Wort Spieleschreiber (“gamesauthor”) bezieht sich auf  die Tatsache, dass ich über Computerspiele schreibe und sie außerdem entwickle und produziere

Meine Arbeiten

Aktuelles